Bei einer Online-Veranstaltung des Transformationsnetzwerks (TraFoNetz) Nordschwarzwald und der Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim diskutierten Expertinnen über Wege, die Fachkräftelücke zu schließen.
Wie lässt sich aus einem ersten Arbeitsvertrag ein neues Zuhause machen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Online-Veranstaltung „Wurzeln schlagen statt weiterziehen – Integration internationaler Fachkräfte von Anfang an“. Unter der Moderation von Lidia Niestoruk vom Transformationsnetzwerk (TraFoNetz) Nordschwarzwald drehte sich alles um die Herausforderung, Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern dauerhaft in der Region zu halten. Dazu wurde ein spezieller Leitfaden vorgestellt.
Fachkräfte aus dem Ausland sind kein „Nice-to-have“, sie sind die Lebensader der regionalen Wirtschaft, machte Moderatorin und TraFoNetz-Projektmanagerin Lidia Niestoruk deutlich. Doch viele von ihnen würden weiter ziehen. Warum? Und wie lässt sich das ändern? Antworten lieferte die Veranstaltung „Wurzeln schlagen statt weiterziehen – Integration internationaler Fachkräfte von Anfang an“, organisiert vom Transformationsnetzwerk (TraFoNetz) Nordschwarzwald in Kooperation mit der Agentur für Arbeit Nagold-Pforzheim.
Die Fachkräftesituation im Nordschwarzwald ist im bundesdeutschen Vergleich überdurchschnittlich angespannt. Das offenbaren Zahlen aus dem Agenturbezirk Nagold-Pforzheim. Demnach blieb 2024 fast die Hälfte aller offenen Stellen (47,6 Prozent) unbesetzt und damit deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt.
Gleichzeitig steigt der Anteil internationaler Fachkräfte rasant: Jede fünfte beschäftigte qualifizierte Person in der Region stamme aus dem Ausland. Doch viele blieben nur kurze Zeit. Laut dem Internationalen Mobilitätspanel planen gerade einmal knapp 60 Prozent der Zugewanderten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. In Branchen wie IT oder technischen Dienstleistungen wird das Abwanderungsrisiko als besonders hoch eingeschätzt.
„Wir müssen dafür sorgen, dass Integration nicht als Nachsatz verstanden wird, sondern als erster Schritt,“ betonte Dr. Anika Jansen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Die Referentin, die im Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) kleine und mittlere Unternehmen bei der Integration unterstützt, machte deutlich: „Ankommen allein reicht nicht. Entscheidend ist, ob die Menschen bleiben wollen und können.“
Jochen Protzer, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald, unter deren Dach das Projekt TraFoNetz agiert, macht deutlich: „Wirtschaftliche Schwäche, Kurzarbeit und Entlassungen in der Industrie stehen nur scheinbar im Widerspruch zum anhaltenden Bedarf an internationalen Fachkräften. Laut einer Bertelsmann-Studie müssten bis 2040 jährlich 288.000 internationale Arbeitskräfte zuziehen. Denn durch den Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge verlasse in den kommenden eineinhalb Jahrzehnten knapp ein Drittel der heutigen Erwerbspersonen den Arbeitsmarkt. „Würde die Wirtschaft brummen, fehlten noch mehr Arbeitskräfte.“
Nicht nur deshalb muss Anika Jansen zufolge „aus kommen bleiben werden. Das beginnt nicht am ersten Arbeitstag, sondern bereits beim Vertragsabschluss“. Annette Hanfstein, Mitglied Geschäftsführung der Arbeitsagentur bekräftigte die Aussage: „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es entscheidend, dass wir sie nicht nur gewinnen, sondern auch halten. Dazu bedarf es einer echten Willkommenskultur mit Offenheit, nicht nur in den Unternehmen, sondern in der gesamten Gesellschaft.“
Doch was bedeutet echte Willkommenskultur konkret? Der Leitfaden „Fachkräfte global gewinnen und regional binden“, den Dr. Jansen gemeinsam mit Dr. Regina Flake für das TraFoNetz erstellt hat, liefert eine klare Antwort: Integration beginnt demnach mit Kommunikation, lange bevor die neue Fachkraft anreist. Unternehmen sollten bereits vor der Ankunft Kontakt halten, Willkommensmappen mit Infos zu Wohnung, Ämtern und Kitaplätzen schicken und Erwartungen klären, beispielsweise zum Brutto-Netto-Unterschied bei Lohn und Gehalt, der viele Zuwandernde überrasche.
Im Betrieb selbst sei Struktur entscheidend. Feste Mentorinnen und Mentoren, Patenschaftsprogramme und interkulturelle Schulungen stärken der Studie zufolge nicht nur das Vertrauen, sondern verhindern Missverständnisse im Alltag. „Eine Mentorin oder ein Mentor ist nicht nur Ansprechperson für fachliche Fragen, sondern auch sozialer Kümmerer“, erklärte Jansen. Gleichzeitig empfahl sie, nicht nur die Fachkraft, sondern auch deren Familie einzubinden, etwa durch Partner-Jobbörsen, gemeinsame Betriebsausflüge oder Veranstaltungen wie beispielsweise internationale Kochabende unter dem Motto „Cook Your Culture“.
Besonders brisant in der ländlich geprägten Region: Mobilität und Wohnraum. „Ohne eigenes Auto fühlen sich viele international Zugewanderte isoliert“, berichtete TraFoNetz-Projektleiterin Katharina Bilaine. Die Lösung könnten unternehmensfinanzierte Führerscheinkurse, Shuttle-Dienste oder Zuschüsse zum Deutschlandticket sein. Beim Wohnen helfe es oft schon, wenn Firmen Ferienwohnungen für die ersten Wochen bereitstellen oder Kontakte zu Wohnungsbaugenossenschaften vermitteln.
Wichtig seien auch: Wertschätzung zeigen und langfristige Perspektiven aufzeigen. Unbefristete Verträge, flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice-Optionen und regelmäßige Personalentwicklungsgespräche signalisierten, dass internationale Fachkräfte langfristig Teil der Planung seien.
Der vorgestellte TraFoNetz-Leitfaden „Fachkräfte global gewinnen und regional binden“ enthält eine Checkliste für Unternehmen, angefangen von der Vorbereitung vor der Ankunft über strukturierte Einarbeitung, Sprachförderung und Mobilitätsunterstützung bis hin zu kultureller Sensibilisierung und Familienunterstützung. „Es geht nicht darum, dass Unternehmen alle Maßnahmen umsetzen, sondern die für sie passendsten Maßnahmen finden“, sagt Mit-Autorin Anika Jansen.
Der Leitfaden steht in der TraFoNetz-Mediathek zum Download bereit:
AUTOR: Gerd Lache