Die Automobilindustrie steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel, geprägt durch Digitalisierung, Elektromobilität und die Plattformökonomie. Diese Entwicklungen verändern die gesamte Wertschöpfungskette und stellen insbesondere kleine und mittlere Zuliefererunternehmen (KMU) in Deutschland, vor allem in der Präzisionstechnik, vor erhebliche Herausforderungen.
Standardisierung und Modularisierung eröffnen zwar Effizienzpotenziale, bergen jedoch zugleich die Gefahr der Kommodifizierung, wodurch spezialisierte Produkte zunehmend austauschbar werden. Der globale Wettbewerbsdruck, insbesondere aus Asien, verschärft diese Problematik zusätzlich.
Im Zentrum der Transformation stehen unterschiedliche Plattformmodelle. Geschlossene Plattformen wie die VW MQB (Modularer Querbaukasten) sichern OEMs maximale Kontrolle über Technologie und Lieferkette, erfordern jedoch hohe Anfangsinvestitionen und lassen wenig Raum für externe Innovation. Offene Plattformen wie das von Foxconn initiierte MIH-Konsortium verfolgen einen kollaborativen Ansatz, der durch standardisierte Schnittstellen Innovation und Markteintritt neuer Akteure beschleunigt. Nachteile sind komplexe Governance, erhöhte Sicherheitsrisiken und das Risiko des Verlusts geistigen Eigentums. Hybride Modelle wie der VW MEB-Lizenzierungsansatz (Modularer E-Antriebs-Baukasten) verbinden Offenheit mit selektiver Kontrolle, indem externe Partner integriert, zentrale Kerntechnologien jedoch geschützt werden. Diese Mischformen bieten Chancen für Flexibilität, erfordern aber ein aufwendiges Management.
Besonders die offene MIH EV Open Plattform verdeutlicht Chancen und Risiken. Mit über 2700 Mitgliedern weltweit ermöglicht sie neuen Wettbewerbern einen raschen Markteintritt, indem Entwicklungszeit und -kosten drastisch gesenkt werden. Für deutsche Hersteller und Zulieferer entstehen dadurch erhebliche Risiken: Hardware verliert an Differenzierungskraft, während Software und Nutzererfahrung in den Vordergrund rücken. Zulieferer, deren Stärke in hochpräziser mechanischer Fertigung lag, sehen sich mit dem Trend zu „Good-enough“-Technologien konfrontiert, die durch globale Beschaffungsnetzwerke bereitgestellt werden. Dies erhöht die Austauschbarkeit und drückt die Margen.
Die Analyse verdeutlicht zugleich Chancen. Der Markt für Komponenten wird sich bis 2030 voraussichtlich erheblich verändern, insbesondere durch die steigende Nachfrage nach Bauteilen für Elektrofahrzeuge, Batterien und Thermomanagement. Zukunftsfähige Technologien wie 5-Achs-CNC, additive Fertigung und Leichtbaumaterialien eröffnen neue Nischen. Auch Industrie 4.0 verspricht Effizienzgewinne. Für KMU bestehen klare strategische Optionen: Kostenführerschaft durch Prozessoptimierung, Qualitätsführerschaft durch Premiumstandards, Innovationsführerschaft über kontinuierliche F&E-Investitionen sowie Nischen- und Flexibilitätsstrategien mit kundenspezifischen Lösungen. Hybride Strategien, die mehrere Ansätze kombinieren, sind ebenfalls denkbar.
Der Handlungsdruck für deutsche Präzisionszulieferer ist hoch. Notwendig sind Investitionen in digitale Integrationsfähigkeiten, der Ausbau von System- und Softwarekompetenz sowie eine aktive Teilnahme an Plattformökosystemen. Parallel dazu ist die Diversifizierung in alternative Branchen – etwa Luft- und Raumfahrt, Medizintechnik oder Energietechnik – eine überlebenswichtige Ergänzung, um Abhängigkeiten vom automobilen Massenmarkt zu reduzieren.
Fazit: Die Plattformisierung ist ein unumkehrbarer Trend. Für Zulieferer bedeutet dies, ihre Rolle strategisch neu zu definieren: weg von reiner Teileproduktion, hin zu Systemkompetenz, Kooperation und gezielter Nischenspezialisierung. Nur durch proaktive Anpassung, technologische Weiterentwicklung und strategische Partnerschaften können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend globalisierten Ökosystem sichern.
Die vollständigen Analysen finden Sie in unserer Mediathek: