Editorial des Geschäftsführers Jochen Protzer Juni 2022

|Arbeitswelt und Beruf
Jochen Protzer, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald

Sehr geehrte Damen und Herren,

das EU-Parlament hat mehrheitlich beschlossen, dass ab 2035 keine Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmotor mehr verkauft werden dürfen. Das ist faktisch das Aus für den Verbrenner-Motor als Antrieb. Für die Rechtswirksamkeit braucht es die Zustimmung der Mitgliedsstaaten, die als wahrscheinlich gilt. Als Demokrat respektiere ich das Primat der Politik, die die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzt, halte die Entscheidung persönlich für fragwürdig und weise auf erhebliche Folgen für die Region Nordschwarzwald hin.

In der gesamten Wertschöpfungskette Automotive arbeiten nach der Erhebung der Wirtschaftsstrukturdaten in unserer Region rund 1.300 Unternehmen mit über 30.000 Beschäftigten. Nach einer aktuellen Studie von IW Consult und dem Fraunhofer IAO für das Bundeswirtschaftsministerium vom Herbst 2021 sind von den bundesweit 401 Stadt- und Landkreisen 118 vom Wandel der Automobilwirtschaft betroffen. Betroffen in diesem Kontext sind Regionen, in denen mehr als 5% der Beschäftigten in der Automobilwirtschaft arbeiten. In einem zweiten Schritt wurden die Regionen mit einer besonderen Konzentration der Automobilwirtschaft auf den konventionellen Antriebsstrang untersucht. Besonders betroffen sind Regionen, in denen mehr als 2,4% der Beschäftigten im Bereich konventioneller/traditioneller Antriebe tätig sind. Bundesweit sind das 40 Stadt- und Landkreise, darunter 10 in Baden-Württemberg und mit Pforzheim und Calw 2 unserer 4 Stadt- und Landkreise.

Die besondere Betroffenheit vom Verbrenner bedeutet für unsere Region Nordschwarzwald, dass wir die Transformation entschlossen angehen, die Herausforderungen annehmen, die Chancenfelder in der künftigen Automobilwirtschaft genau ansehen und mit den vorhandenen Kompetenzen abgleichen müssen. Die politische Entscheidung über das Ende des Verbrenners muss nach meiner Überzeugung als Start für eine regionale Strategie zur Bewältigung der Transformation in der Fahrzeug- und Zulieferindustrie im Nordschwarzwald verstanden werden.

In einem Konsortium zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit Nagold-Pforzheim, der Hochschule Pforzheim, der IG Metall und Südwestmetall, aber auch mit der Unterstützung von regionalen und überregionalen Organisationen und Unternehmen haben wir einen Antrag für ein Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald erarbeitet und dabei das Thema kollaborative Entwicklungs- und Produktionsplattformen in den Mittelpunkt gestellt. Vor dem Hintergrund des globalen Trends der Plattform-Ökonomie ist der Auf- und Ausbau von Kompetenzen, Wissen und Netzwerken im Bereich von kollaborativen Plattformen für Entwicklung und Produktion für die Zulieferer von morgen von entscheidender Bedeutung. Wir haben uns mit einem 8 Millionen Projekt an der Förderausschreibung des Bundeswirtschaftsministeriums zu „Transformationsstrategien für Regionen der Fahrzeug- und Zulieferindustrie“ beworben und warten derzeit gespannt darauf, ob die Region Nordschwarzwald den Zuschlag erhält und dann für die Bewältigung der Transformation im Automobil- und Zuliefererbereich mit einer erheblichen finanziellen Unterstützung des Bundes rechnen kann.

Rahmenbedingungen zu setzen ist Aufgabe der Politik; das Aus des Verbrenners stellt Unternehmen und unsere ganze Region vor gewaltige Herausforderungen. Lassen Sie uns neben der politischen Diskussion über diese Entscheidung vor allem gemeinsam an Lösungen arbeiten.

Mit besten Grüßen

Jochen Protzer

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